Buchvorstellung: Das Leben und sein hinterhältiger Plan
06:00
Heute darf ich euch das neue tolle Buch von Sarah Saxx vorstellen! "Das Leben und sein hinterhältiger Plan" ist heute auf Amazon erschienen. Ich durfte es vorab lesen und kann es euch nur empfehlen! Hier findet ihr meine Rezension.
Luna ist eine ehrgeizige Schülerin und zählt zu den besten Weitspringerinnen Kaliforniens. Eigentlich verläuft ihr Leben perfekt – immerhin überlässt sie nichts dem Zufall.
Doch dann ziehen neue Nachbarn ein und der gut aussehende Jasper bringt sie mit seinen flüchtigen Berührungen und seinem Zwinkern völlig aus dem Konzept. Dabei steht nicht nur der Highschool-Abschluss an, sondern auch die wichtigste sportliche Entscheidung ihres Lebens.
Vergebens versucht sie, sich darauf zu konzentrieren, doch Jasper hat sich längst in ihr Herz geschlichen. Gerade als sie bereit ist, sich auf ihre Gefühle einzulassen, reißt das Leben ihr den Boden unter den Füßen weg. Luna verliert den Glauben an sich, an Jaspers Zuneigung und an die Gerechtigkeit des Schicksals. Kann es überhaupt noch eine Chance für ihre Liebe geben?
Eins
Es ist ein ganz normaler Samstag im Februar in meinem
letzten Jahr an der Highschool, als vor dem Nachbarhaus
ein großer Lastwagen hält und dahinter ein schicker Mercedes
parkt. Sofort öffnen sich die Türen beider Wagen.
Aus dem Lkw springen kräftige Männer in einheitlichen
Shirts und Kappen auf den Rasen und beginnen sofort,
Möbelstücke über das Grün zu tragen, während eine Bilderbuchfamilie
mit freudigem Lächeln aus dem silbernen Auto
auf ihr neues Heim zusteuert. Sie könnten einer Werbung
für das Coastal Living Magazine entsprungen sein, denke
ich und muss schmunzeln.
Die Frau hat ihr blondes Haar perfekt geföhnt und trägt
ein blassrosa Poloshirt zu Jeans mit Schuhen im selben
Farbton. Ihr Mann hat sich als Pendant dazu für ein dunkelblaues
Poloshirt entschieden (oder hat es seine Frau für
ihn ausgesucht?). Seine Haare sind dunkelbraun und an
den Seiten grau meliert. Ich bin mir sicher, meiner Mutter
gefällt er, denn er sieht Pierce Brosnan sehr ähnlich, und
den himmelt sie an wie ein Teenie, was meinen Vater irritierenderweise
keineswegs stört.
Aus dem Fond des Wagens klettert ein vielleicht zehnjähriger,
blonder Junge mit – welch Wunder – ebenfalls
blauem Poloshirt. Ich kann meine Mutter bildlich vor mir sehen, wie sie auf die Straße schielt und ein zweites Mal
innerhalb weniger Sekunden lächelnd seufzt.
Mit einem zufriedenen Kopfnicken wende ich mich
wieder meinen Büchern zu. Die neuen Nachbarn sind auf
den ersten Blick genauso wie erwartet: wie wir. Gutbürgerlich,
gut situiert. Gesittet. Eine nette Familie, mit denen
sich meine Eltern bestimmt anfreunden wird.
Doch dann nehme ich aus den Augenwinkeln eine weitere
Bewegung wahr. Ich wende mich von meinen Lernunterlagen
noch einmal ab und richte meinen Blick erneut
auf den Mercedes.
»Verdammt!«, kommt es mir über die Lippen und sofort
halte ich mir die Hand vor den Mund.
Ein weiterer Junge steigt aus dem Wagen und … er
passt irgendwie nicht so recht in dieses perfekte Bild der
Vorzeigefamilie. Er ist ungefähr in meinem Alter, doch
sonst haben wir auf den ersten Blick so gar nichts gemeinsam:
Lange blonde Strähnen hängen ihm über sein rechtes
Auge, während die restlichen, kurzen Haare unter einer
schräg sitzenden Baseballkappe verschwinden. Er trägt
ausgewaschene Jeans, die er hochgekrempelt hat, dazu ein
verwaschenes, weißes Shirt, von dem mir Mickey Mouse
entgegenlacht. Darüber hat er eine schwarze Sweatjacke an,
die irgendwie schlampig wirkt. Doch den Vogel schießen
seine Boots ab, die völlig locker an seinen Füßen sitzen, als
er mit ihnen über den Rasen schlurft.
Ich meine, hallo? Kann man die Schuhe denn nicht
einfach ordentlich zubinden? Oder habe ich einen Trend
verpasst und es gehört zum guten Ton, Kleidung zu tragen,
die man jeden Moment verlieren kann?
Genervt knalle ich das Buch zu, nicht ohne zuvor ein
Lesezeichen hineinzulegen, und stehe auf. Meine Konzentration
ist passé. Dieser kaugummikauende Macho kommt
sich vermutlich besonders unwiderstehlich vor. Bereits zum zweiten Mal schleudert er die Strähne vor seinem Auge
mit einer schwunghaften Kopfbewegung aus dem Gesicht,
bevor sie sofort wieder an ihrem Ursprungsort landet.
Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Gerade mal vierzig
Minuten habe ich gelernt. Viel zu wenig. Doch ich muss
mich vergewissern, ob dieser … Freak … tatsächlich zu
der Familie gehört oder ob er nur … Tja. Ehrlich, ich habe
keine Erklärung dafür, wie dieser Kerl sonst zu den anderen
dreien passen könnte. Deshalb verrenke ich mir beinahe
den Hals, als ich mich über den Schreibtisch lehne und aus
dem Fenster starre.
Tatsächlich. Kurz vor dem Haus bleiben die vier stehen
und der Vater legt seiner Frau und diesem Kerl die Arme
um die Schultern. Der kleinere Junge schmiegt sich an
seine Mama und zusammen sehen sie … nun … nicht
mehr wie eine perfekte Familie, aber eben wie eine Familie
aus. Sie schauen den Möbelpackern zu, wie sie den Laster
entladen und das Mobiliar und Umzugskisten ins Innere
des Hauses tragen.
»Verdammt«, fluche ich nun ein zweites Mal und eile
aus meinem Zimmer. Ich muss sofort meine Eltern suchen,
die die Neuankömmlinge vielleicht noch gar nicht bemerkt
haben. Im Wohnzimmer kann ich die beiden aber nicht
entdecken, nur zwei halb volle Gläser Limonade stehen
auf dem Couchtisch. Gerade als ich weiter durch das Haus
gehen und nach den beiden rufen will, bemerke ich die
geöffnete Terrassentür. Stimmen dringen aus dem Garten
herein. Na klar. Natürlich haben meine Eltern die neuen
Nachbarn schon entdeckt und sind auch gleich nach
draußen, um sie zu begrüßen.
Kurz zögere ich, ob ich mich ebenfalls dazugesellen soll.
Eigentlich habe ich keine Lust, diesem Macho gegenüberzutreten.
Doch mich heimlich wegzuschleichen ist auch
nicht meine Art – noch dazu, wo ich mir nicht sicher bin, ob mich die Nachbarn nicht bereits durch die Glasscheiben
entdeckt haben. Also atme ich tief durch, versuche mich an
meinem besten Zahnpasta-Vorzeigelächeln und gehe über
die Steinstufen hinab zu meinen Eltern.
»… und sie kann zwischen der University of Oregon und
Harvard wählen. Aber im Grunde redet sie schon, seit sie
ein kleines Mädchen ist, dass sie irgendwann mal an der
Harvard Law School studieren will, um später Anwältin zu
werden«, höre ich meinen Vater eben mit stolzgeschwellter
Brust sagen.
Ich verdrehe die Augen, denn ich kann es überhaupt
nicht leiden, wenn er mit mir prahlt. Außerdem habe ich
mich noch gar nicht entschieden, welchen der beiden Wege
ich einschlagen werde. Im Moment hat der Sport oberste
Priorität und laut meinem Trainer habe ich verdammt gute
Chancen, ganz nach oben zu kommen. Da macht es nur
Sinn, auf die University of Oregon zu gehen, die einen besonders
guten Ruf hat, was die Förderung und das Training
von Leistungssportlern betrifft. Doch meine Eltern scheint
das nicht zu interessieren, sie sind fest davon überzeugt, dass
ich meinen Kindheitstraum auch weiterhin verfolgen werde.
»Daddy!« Scham schwingt in meiner Stimme mit, was
mich noch mehr ärgert, denn dieser Möchtegern-Macho
grinst mich dabei schief an.
»Komm her, Luna, wir möchten dir unsere neuen Nachbarn
vorstellen.« Meine Mom legt ihren Arm um mich und
schiebt mich somit in den Vordergrund. »Das sind Cindy
und Daniel Elliot mit ihren Söhnen Michael und Jasper.«
Ich nicke höflich und murmle ein »Freut mich, Sie kennenzulernen«.
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, antwortet Cindy.
»Du dürftest ungefähr in Jaspers Alter sein, denke ich. Es
wäre natürlich schön, wenn er hier schnell Anschluss finden
würde – vielleicht kannst du ihm ja helfen.«
Ich höre ein Schnauben aus seiner Richtung, und nun
bin ich es, die grinst. Zwar bei Weitem nicht so schief wie
er, aber ich kann es mir einfach nicht verkneifen. Seine
Mutter klingt, als würde sie einen Spielkameraden für ihr
Kleinkind suchen. Eltern können wirklich manchmal ziemlich
peinlich sein …
»Klar«, antworte ich nach einem kurzen Seitenblick auf
ihn, obwohl ich mir bei Gott nicht vorstellen kann, wer von
meinen Freunden zu ihm passen könnte. Doch er grinst
nur belustigt und zwinkert mir zu.
Ich spüre, wie ich rot werde, was mich ärgert.
»Fantastisch!« Cindy strahlt mich an, als hätte ich ihr
eben die Lottozahlen für heute Abend verraten.
»Wisst ihr was? Ihr solltet heute Abend zum Essen zu uns
kommen. Ihr seid herzlich eingeladen«, meint nun mein
Dad hoch motiviert. »Melody macht eines ihrer berühmten
Früchtedesserts. Bestimmt seid ihr müde nach dem langen
Tag.«
»Ja, es wäre mir ein Vergnügen, für euch zu kochen«,
sagt nun auch meine Mom und übertrifft sich selbst mit
ihrem strahlenden Lächeln.
Während die Elliots dankend die Einladung meiner
Eltern annehmen und sie sich zwecks der Uhrzeit und den
Getränken absprechen, verziehe ich mich entschuldigend
und bin froh, als ich endlich meine Zimmertüre hinter
mir schließen kann. Ich lasse mich auf das Bett fallen und
schreie kurz in eines der Kissen, ehe ich mich wieder aufsetze
und den Kopf schüttle.
Wieso in aller Welt muss unbedingt so ein Freak wie
Jasper nebenan einziehen? Wieso kann es nicht einfach
ein nettes Mädchen sein … oder von mir aus auch ein
Junge. Ein normaler Junge! Jasper sieht so aus, als wäre er
… keine Ahnung … völlig von sich und seiner Wirkung auf
Mädchen überzeugt? Okay, er sieht wirklich gut aus, aber er weiß, dass es so ist, und genau das macht ihn unsympathisch.
Vielleicht ist er sogar der Meinung, dass er sich
durch seinen übertrieben lässigen Stil von seiner Familie
abheben muss, um bei seinen Kumpels gut anzukommen.
Und er scheint sich für besonders cool zu halten, so wie er
gegähnt hat, als mein Vater erwähnt hat, dass ich die Wahl
zwischen Harvard und Oregon habe.
Für ihn sind vermutlich nur Langweiler und Streber
auf jenen Universitäten, die für ihn bestimmt unerreichbar
bleiben. Dabei hat er doch keine Ahnung!
Schnaubend stehe ich auf und tigere durch mein Zimmer.
Mir graut es davor, mich später mit ihm an einen
Tisch setzen zu müssen und ihm beim Essen in sein selbstgefälliges
Grinsen zu blicken. Oder ihn dabei beobachten
zu müssen, wie er hier alles langweilig findet. Mich hätte
es nicht gewundert, wäre er bei der Unterhaltung meiner
Eltern einfach ohne etwas zu sagen gegangen.
Sosehr ich mich auch bemühe, mein Gehirn will sich
nicht mehr auf den Lernstoff konzentrieren. Dieser Jasper
spukt mir zu sehr im Kopf umher. Aber noch länger
in meinem Zimmer zu bleiben, um vielleicht doch noch
etwas zu lernen, scheint zwecklos. Denn auch wenn mich
seine von sich selbst überzeugte Art nervt, gehen mir seine
blaugrünen Augen mit diesem intensiven Blick nicht mehr
aus dem Kopf. Echt ärgerlich!
»Mom? Kann ich dir in der Küche helfen?«, rufe ich
hinunter. Ich höre, wie sie bereits vor sich hin summend
begonnen hat, das Abendessen vorzubereiten. Das Messer
klopft in regelmäßigen Abständen auf ein Holzbrett.
»Nein danke, Liebes, ich komme zurecht. Aber ich melde
mich, falls ich dich brauche.«
Also schnappe ich mir seufzend und mit schlechtem
Gewissen – weil ich weder lerne noch meiner Mom helfen
kann – ein Buch und begebe mich mit einer dicken Jacke in den Garten. Es ist zwar relativ kühl im Februar, aber
die Sonne scheint direkt auf unsere Terrasse, und ich liebe
es, im Freien zu lesen.
Vor der Garage höre ich meinen Dad, wie er seinen
Wagen wäscht, um ihn anschließend auf Hochglanz zu polieren.
Ihm meine Hilfe anzubieten, unterlasse ich jedoch.
Sein SUV ist sein Heiligtum und nicht mal Mom darf ihm
bei den Streicheleinheiten an seinem Auto helfen.
Kurz schließe ich noch die Augen und strecke mein
Gesicht der Sonne entgegen, dann schlage ich mein Buch
auf und beginne zu lesen. Der Name der Rose lag viel zu
lange auf meinem Stapel ungelesener Bücher. Heute will
ich das endlich ändern. Es dauert nicht lange, und ich
bin in der Geschichte versunken. Dass die Welt sich um
mich weiterdreht, merke ich nur daran, dass der Schatten
des Baumes in unserem Garten wandert und meine Beine
langsam kalt werden.
Leises Lachen dringt plötzlich zu mir und holt mich in
die Realität zurück. Verwirrt hebe ich den Kopf und sehe,
wie Jasper lässig die Hände am Zaun abgelegt hat und mich
über die Bretter hinweg beobachtet.
»Entschuldige?« Plötzlich fühle ich mich unwohl und frage
mich, ob er mich schon länger beobachtet hat. Sein Blick
gibt mir das Gefühl, bei etwas Schlechtem ertappt worden
zu sein. Also lasse ich mein Buch gegen die Brust sinken,
auch wenn meine Reaktion auf sein Lachen lächerlich ist.
»Ich hätte wetten können, dass ich dich mit einem Buch
in der Hand finde. War klar, dass du bei jeder freien Minute
deine Nase in Bücher steckst.«
Er gluckst und ich koche innerlich. Ich habe es gewusst,
der Kerl bringt mich auf die Palme.
»Dann hätte ich wohl auch wetten sollen!«, antworte ich
mit leichter Ironie in der Stimme.
Fragend hebt er eine Augenbraue. »Dass ein arroganter Schönling wie du sich natürlich
immer sofort ein Urteil bildet und anderen Menschen keine
Chance gibt, sie besser kennenzulernen.«
Sein lautes Lachen macht mich noch wahnsinniger, und
ich hebe demonstrativ wieder mein Buch, um weiterzulesen.
»Du findest mich also scharf und willst mich besser kennenlernen?
Das können wir gern ändern, Baby.«
Entsetzt starre ich ihn über den Buchrand an und er
zwinkert mir zu.
»Ich … nein! Das hab ich nicht gesagt.«
Meine Wangen werden heiß, und ich ärgere mich noch
mehr, doch diesmal über mich selbst. Wieso macht mich
dieser Typ so nervös?
»Wie jetzt? Also doch nicht? Dann gehörst du also ebenfalls
zu jenen, die anderen keine Chance lassen, sie besser
kennenzulernen?«
»Was …? Also … Du drehst mir die Worte im Mund
um!«, maule ich, bevor ich aufstehe und Richtung Terrassentür
eile.
»Wo gehst du hin?«, ruft er mir nach.
»Weg von dir.«
Wieder lacht er und ruft mir noch ein »Bis später«
hinterher, was mich daran erinnert, dass wir gleich gemeinsam
an einem Tisch sitzen werden.
Es duftet bereits herrlich nach dem Braten, den meine Mom
in den Ofen geschoben hat und zu dem mein Vater eben
ein paar Kräuter aus dem Garten gibt, als die neuen Nachbarn
– natürlich vollzählig – zu uns kommen. Nach meiner
Flucht vor Jasper war ich nur kurz bei meiner Mom in der
Küche, doch sie hat mich gleich wieder hinausgescheucht
und mich gebeten, den Tisch zu decken.
Meine Eltern begrüßen unsere Gäste an der Haustür.
Neugierig spähe ich aus dem Esszimmer in den Flur. »Melody, wenn es nur halb so gut schmeckt, wie es
riecht, dann ist es ein fantastisches Essen. Kann ich dir
noch etwas helfen?«, bietet sich Cindy an, die immer noch
wie aus dem Ei gepellt aussieht.
»Gern. Komm doch mit in die Küche«, bittet meine
Mom sie und schon verstummen ihre Stimmen hinter der
geschlossenen Tür.
»Ein tolles Haus«, bemerkt Daniel anerkennend. »Der
SUV sieht auch klasse aus. Ist der neu?«
Mein Vater lacht verlegen und streicht sich durch das
Haar. »Nicht mehr ganz. Ich habe ihn vor einem guten
Jahr gekauft.« Er deutet auf die Wohnzimmertür und bittet
Daniel, einzutreten, während Michael an ihm vorbeiläuft
und »Mommy, warte!« ruft.
Jasper bleibt unschlüssig im Flur stehen und sieht sich
um. Reflexartig ziehe ich mich von dem Türspalt zurück
und widme mich weiter dem Geschirr. Hoffentlich hat er
mich nicht entdeckt … Ich habe ehrlich keine Lust auf
seine Gesellschaft. Schon gar nicht länger als notwendig.
Doch kaum bin ich mit dem Tischdecken fertig, betritt
auch schon Jasper den Raum. Einen Augenblick überlege
ich, mich auf dem Absatz umzudrehen und in mein Zimmer
zu flüchten. Doch ich weiß, dass Mom im Grunde mit
allem fertig ist und nur noch einen Dip anrührt. Außerdem
wäre es völlig unfreundlich, schon wieder vor ihm
davonzulaufen. Also versuche ich, ein halbwegs normales
Gespräch zu beginnen.
»Bist du das erste Mal in Walnut Creek?«
Er nickt nur, lässt mich dabei jedoch nicht aus den Augen.
Ich weiche seinem Blick aus. Mir wäre es lieber, er würde
irgendetwas sagen. Doch peinliches Schweigen hüllt uns ein.
Also versuche ich, mit einer weiteren Frage die angespannte
Situation aufzulockern und ihn davon abzubringen, mich
nicht so anzusehen. »Und … gefällt es dir hier?«
Er hebt eine Augenbraue und mustert mich von unten
bis oben, als hätte ich etwas ganz anderes gefragt. Sein
Blick streift meine engen Jeans und das Sweatshirt mit
dem breiten Halsausschnitt, das immer eine Schulter zeigt.
Unsicher zupfe ich ihn zurecht.
Jaspers Mundwinkel heben sich zu einem Grinsen. »O
ja, sehr sogar.«
Das darf doch nicht wahr sein, oder? Ist er wirklich so
blöd oder tut er nur so? Ich schwanke noch zwischen Zunge
zeigen und doch fluchtartig den Raum verlassen, als unsere
Mütter hereinkommen, die Hände voller Schüsseln mit
Soßen, Salaten und Beilagen. Michael tapst strahlend hinter
ihnen her, einen großen Krug Limonade in den Händen,
gefolgt von seinem Vater.
»Das Essen ist fertig«, verkündet mein Dad unnötigerweise,
der mit dem Braten auf der großen Servierplatte
den anderen folgt.
»Bitte nehmt doch Platz.« Meine Mom lächelt uns kurz
zu, während sie in jede der Beilagen- und Soßenschüsseln
einen Löffel gibt. Dann rückt sie einen Stuhl vom Tisch
ab und bedeutet mir, mich zu setzen. Es ist mein Platz,
hier sitze ich immer beim Essen, aber ich wollte heute
eigentlich abwarten, wo Jasper sich setzt, um den von ihm
am weitesten entfernten Stuhl zu wählen. Danke, Mom!
Und wie erwartet wählt Jasper den Stuhl direkt mir gegenüber,
sodass ich während des ganzen Essens gezwungen
bin, ihn anzusehen. Gut, ich gebe mir beste Mühe, seinem
Blick auszuweichen. Die meiste Zeit starre ich auf meinen
Teller, doch ich spüre, wie sich sein Blick auf meiner Haut
einbrennt. Und jedes Mal, wenn ich den Kopf hebe, grinst
er mich an und zwinkert mir zu, so als ob er nur darauf
gewartet hätte, dass sich unsere Blicke kreuzen.
Ich lausche den Gesprächen, um nicht meinen Gedanken
zuhören zu müssen, die Jasper verfluchen und gleichzeitig um ihn kreisen. Verrückterweise wirkt es, als wären unsere
Eltern schon ewig Freunde. Sie unterhalten sich über ihre
Jobs, über den Garten, die Nachbarschaft und über Chicago,
dem ehemaligen Zuhause der Elliots. Ich erfahre, dass Daniel
Anwalt ist, was mich dann doch noch hellhörig werden
lässt, und dass die Familie wegen eines Jobangebots nach
Walnut Creek gezogen ist, das er nicht ausschlagen wollte.
Nun ist er Senior-Partner in einer Kanzlei in San Francisco.
»Und wieso wohnt ihr dann hier und nicht in der Nähe
der Kanzlei?«, fragt meine Mutter, die ihre Neugier nicht
unterdrücken kann.
Cindy und Daniel werfen sich einen kurzen Blick zu,
während sich Jasper ein Stück Fleisch in den Mund schiebt,
sich dann im Stuhl zurücklehnt und seine Eltern mustert,
als wäre er selbst auf ihre Antwort gespannt.
»Wir haben lange genug in der Großstadt gelebt. Wir
wollten weg von dem Trubel, und die Kanzlei ist gar nicht
so weit entfernt.«
Cindy wirft ihrem Mann einen … dankbaren? erleichterten?
… Blick zu und fügt hinzu: »Ja, hier ist es so ruhig
und idyllisch. Und Jaspers Schule ist ganz in der Nähe. Nur
Michael muss mit dem Schulbus fahren.« Dabei strahlt sie,
während mir die Gesichtszüge entgleisen.
»In w-welche Schule geht Jasper denn?« Ich stottere und
laufe gleichzeitig rot an.
»In die Berean Christian High«, antwortet nun Daniel
und die Farbe, die eben noch in meinen Wangen war, verflüchtigt
sich augenblicklich.
Cindy wendet sich nun wieder an mich. »Ist das auch
deine Schule?« Ich nicke nur langsam und verfluche diesen
Tag. Nein, ich verfluche den Tag, an dem die Elliots beschlossen
haben, das Haus nebenan zu kaufen.
»Wie wunderbar«, quietscht sie und schlägt die Hände
zusammen. »Dann könnt ihr ja gemeinsam zur Schule gehen.« Ich lächle, brauche dazu aber meine ganze Kraft. Viel
lieber hätte ich laut »Nein!« geschrien. Als ich zu Jasper
schiele, läuft mein Fass beinahe über. Eigentlich hätte ich
es wissen sollen: Er grinst mich breit an und zwinkert mir
zu. Gott, wie ich das hasse! Mir hat noch nie jemand zugezwinkert,
und schon gar nicht mit so einem … selbstgefälligen
Gesichtsausdruck. Und so oft an einem Tag, in nicht
einmal einer Stunde!
Ich lege mein Besteck zur Seite und stehe auf.
»Wo willst du denn hin, Liebes?« Meine Mutter klingt
verunsichert. Ich glaube, sie hat meine sinkende Stimmung
bemerkt. Allen anderen scheint nichts aufgefallen zu sein,
dazu ist mein Lächeln zu perfekt.
»Ich hole noch etwas Limo.« Mit dem Kopf nicke ich
zum fast leeren Krug.
»Bleib sitzen, ich kann auch …« Doch ich ignoriere
Cindy, bin schon auf dem Weg.
In der Küche stelle ich den Glaskrug ab, stütze mich an
der Arbeitsfläche ab und atme erst tief durch, bevor ich den
Kühlschrank öffne, um Nachschub zu holen.
Als ich die Tür wieder schließe, lasse ich beinahe die
Limo fallen. Jasper steht vor mir, wieder mit diesem Blick,
der mich förmlich auszuziehen scheint.
»Was willst du?«, fahre ich ihn an und bin selbst über
meinen scharfen Ton überrascht. Ich stelle die Limo ab und
drehe mich mit verschränkten Armen zu ihm um.
»Eis.« Seine Stimme ist rau und irritiert mich. Er geht
auf mich zu und reflexartig mache ich einen Schritt zurück.
»Hast du dein Glas mitgebracht?« Die Frage ist unnötig,
denn ich sehe seine leeren Hände.
Ohne zu antworten, kommt er näher. Viel zu nahe – er
durchbricht meinen Wohlfühlbereich und ich spüre ein
nervöses Kribbeln in meiner Magengegend. Langsam lasse
ich die Arme sinken. »Ich will mehr«, flüstert er mit tiefer Stimme und verringert
den Abstand zwischen uns erneut. Ich schlucke.
Meine Augen wandern unruhig zwischen seinen hin und
her, und ich zwinge mich dazu, den Blick nicht auf seine
Lippen zu senken, als er sich mit der Zunge darüber leckt.
»Was …?« Ich weiche zurück, spüre aber sofort die Arbeitsfläche
hinter mir. Was heißt das, mehr? Will er mich
jetzt küssen? Panisch überlege ich, wie ich reagieren soll.
Will ich ihn küssen? Absolut gar nicht, oder? Oder doch?
Er riecht gut, ganz leicht nach einem herben Parfum
und ein klein wenig nach süßen Früchten. Und als ich
langsam und verwundert seinen Duft einatme, spüre ich,
wie ich meinen inneren Kampf verliere – ich schaue zu
seinen glänzenden Lippen, die er leicht geöffnet und zu
einem erwartungsvollen Lächeln geformt hat. Ich schlucke
hart und bemerke, wie sich meine Zunge verselbstständigt
und nun über meine Lippen streicht.
Nur langsam kann ich den Blick von seinem Mund
ablenken, doch ich weiß nicht, was ich tun soll, wie ich
reagieren soll. Nach wie vor steht er unbeweglich vor mir
und bewegt sich weder auf mich zu noch von mir weg.
Doch seine Augen fixieren mich, als würden sie versuchen,
in mir ein Geheimnis zu lüften.
Jasper hat wirklich wunderschöne Augen, muss ich bereits
zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden feststellen.
Blaugrün, wie ein See in den Bergen Kanadas, umrundet
von einem Tannengrün. Darin entdecke ich kleine braune
Sprenkel, die wie Holz in einem See treiben.
Als sein Oberkörper sich an meinen presst, spüre ich,
wie meine Knie zu zittern beginnen.
Also das geht dann doch echt zu weit! Der kann doch
nicht …
Verkrampft halte ich mich an der Arbeitsplatte hinter
mir fest und schwanke noch zwischen dem verwirrenden Gefühl, das seine Nähe in mir auslöst, und dem Drang,
ihm eine Ohrfeige zu verpassen für die Dreistigkeit, mir
so nahe zu kommen.
Doch ehe ich eine Entscheidung treffen kann, keucht
er auf. Mit halb geschlossenen Augen streckt er sich nach
oben, lehnt sich gleichzeitig noch weiter vor, sodass sich
unsere Nasen beinahe berühren und … zieht den Sektkühler
von dem kleinen Regal zwischen Geschirrschrank und
Kühlschrank herunter.
»Der hier müsste genügen. Es ist so verdammt heiß im
Esszimmer, der letzte Schluck war warm wie Pisse«, meint
er mit einem Grinsen. Ich blinzle verwirrt, ehe mir bewusst
wird, was hier eben passiert ist.
»Idiot«, zische ich und versetze ihm einen Stoß, sodass
er lachend zurücktaumelt.
»Hier in der Küche ist es aber auch echt heiß«, meint er,
als er mich mit durchdringendem Blick ansieht, und beißt
sich dabei auf die Unterlippe.
Kochend vor Wut schnappe ich mir die Limo und gieße
sie mit zitternden Händen in den Krug. Jasper steht grinsend
neben mir und befüllt den Sektkühler mit Eis direkt
aus dem Gefrierfach. Schwungvoll öffne ich die Tür daneben
und stelle die restliche Limonade an ihren Platz zurück,
bevor ich mit dem Krug und erhobenen Hauptes wieder
nach draußen marschiere.
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